Er leitet den Covestro-Standort im ChemCoast Park Brunsbüttel: Victor Ortega hat mit uns im Interview über die Krise in der chemischen Industrie, Vorurteile gegenüber chemischen Unternehmen und die Auswirkungen des Fachkräftemangels auf die Ausbildung bei Covestro gesprochen.
Die chemische Industrie steckt in der Krise – hohe Strompreise führen dazu, dass Unternehmen darüber nachdenken, ihre Produktionen ins Ausland zu verlagern. Wie sieht es denn bei Covestro aus - ist die Krise hier angekommen und hat sie Auswirkungen auf die Ausbildung am Standort Brunsbüttel?
Wir haben keine Pläne, unsere Produktionen an andere Standorte, Regionen oder Kontinente zu bringen – denn die chemische Industrie ist strategisch wichtig für Europa, und wir möchten auch mit der Regierung und den Behörden zusammenarbeiten, um hier weiterzumachen. Europa geht in die Energietransformation, und wir möchten hier zirkulär werden, eine Kreislaufwirtschaft herstellen. Wir haben zum Beispiel Projekte, bei denen wir versuchen, Energie in chemischen Produkten zu speichern. Das bedeutet, dass die chemische Industrie eine Lösung für die Energiekrise sein könnte.
Natürlich machen wir am Ende unser Geld mit unseren Produkten, und da haben die Energiepreise eine sehr große Auswirkung. Das müssen wir als europäische Gemeinschaft zusammen betrachten, um in der Industrie weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt andere Firmen, die die Produktion delokalisieren oder umziehen, und das wird langfristig natürlich Auswirkungen auf die Ausbildung von Chemikanten haben. Wir planen aber keinen Umzug, wir wollen am Standort Deutschland weiter wachsen. Deshalb kann ich nur sagen: Wir brauchen mehr Chemikanten, mehr Ausbildungen! Die Chemie-Industrie und ihre Jobs sind zukunftsfähig, denn in chemischen Produkten sind alle Aspekte des Lebens enthalten.
Ist das denn in den Köpfen der Menschen auch drin? Ich habe das Gefühl, dass viele bei Chemie immer erstmal an „giftig und gefährlich“ denken.
Wir arbeiten definitiv daran, Vorurteile abzubauen. Ich glaube, die Gesellschaft sieht uns oft nicht als umweltfreundlich, weil man immer die großen Kamine der Anlagen sieht. Aber für die Energiespeicherung und für die Energiekonservierung braucht man Chemie und unsere Produkte. Alles, was die Zukunft bringt, braucht auch Chemie.
Wir müssen alle zusammenarbeiten, um mehr Leuten das Interesse für Wissenschaften, Technik und Chemie zu vermitteln. Das ist die Zukunft und deshalb sind Initiativen wie die IdeenExpo auch so wichtig. Wir als Covestro arbeiten hier zum Beispiel auch mit Schulen zusammen und versuchen, das Interesse an unserer Industrie zu wecken – nicht nur für Covestro, sondern die chemische Industrie im Allgemeinen.
Wenn wir die Welt besser machen wollen, müssen wir uns weiterentwickeln. Schaut man sich zum Beispiel an, was wir heute tragen: Schuhe, Jeans, Pulli - alles gefärbt, alles Chemie. Damit diese Produkte nicht auf der Deponie landen, sondern recycelt werden, brauchen wir Fachkräfte. Wir müssen also junge Menschen begeistern, ein Teil davon zu werden, ihren Beitrag zu leisten – und so die Welt zu einem besseren und lebenswerteren Ort zu machen.
Und dafür braucht es die passenden Fachkräfte, die Sie hier in ihrem Ausbildungszentrum ausbilden. Können Sie alle 70 bis 80 Stellen gut besetzen?
Mir persönlich fehlen noch mehr Bewerbungen von Frauen. Obwohl, ich sagen muss, dass das Interesse der Frauen in den letzten Jahren gestiegen ist. Dennoch: Wir haben jedes Jahr Schwierigkeiten, gerade bei Elektronikern und Industriemechanikern. Bei den Laboranten und Chemikanten haben wir viele Bewerbungen. Aber auch davon entscheiden sich einige nach der Ausbildung nochmal in ein Studium zu gehen, was wir zum Teil auch unterstützen. Aber gerade, wenn man nach Bedarf ausbildet, hofft man natürlich, dass alle bleiben.
„Alles, was die Zukunft bringt, braucht auch Chemie“
Ich glaube, ein Problem ist, dass wir hier in Brunsbüttel sind. Es ist deutlich einfacher, Leute nach Flensburg, Kiel oder Lübeck zu bekommen. Wir haben hier einen relativ großen Industriestandort, aber trotzdem sind wir von Hamburg abgehängt. Mit dem Bus oder Zug herzukommen, ist ziemlich schlecht. Wir machen uns da Gedanken, wie wir am besten Leute ansprechen und hierherlocken können, aber das ist schon schwierig.
Bewirkt der Fachkräftemangel, dass Sie jetzt mehr Benefits bieten müssen als es noch vor 15 oder 20 Jahren üblich war?
Ich habe mit 17 Jahren ein Studium der Verfahrenstechnik begonnen. Mein Vater hat mir das empfohlen und ich hatte damals keine Ahnung, was ich machen wollte. Als ich fertig mit dem Studium war, habe ich mich gefragt: Und was jetzt? Es gab damals eine große Unsicherheit. Es war unklar, was ich als nächstes tun möchte und kann. Heute ist die Situation für unsere Auszubildenden eine ganz andere: Sie haben eine Ausbildung, die ihnen eine gute Zukunft sichert, sie haben eine Übernahmegarantie, sie können sich fortbilden, studieren – wenn sie denn möchten – und sogar danach zurückkommen.
Ich glaube, das ist auch der Schlüssel, warum Deutschland so gut in der Industrie ist. In Spanien oder den USA gibt es sowas nicht. Ich vergleiche zum Beispiel unsere Anlage mit amerikanischen und spanischen Anlagen: Die Qualität der Ausbildung ist erkennbar. Das liegt vor allem an den guten Mitarbeitenden, die wir auf allen Ebenen haben.
Und um die kümmern wir uns gut, versuchen ein Rundumpaket anzubieten. Und dafür tun wir hier einiges: Neben der Übernahmegarantie, gut bezahlten Jobs und einer Kantine machen wir auch gemeinsam Sport in der Mittagspause. Es gibt sogar Mitarbeitende, die freiwillig Yoga lehren oder Basketball trainieren.