Niedersachsens SPD-Fraktionschef Grant Hendrik Tonne ärgert sich über falsche Vorurteile gegenüber Schulfächern wie Mathematik. Im #MachDochEinfach-Interview erklärt er, wie man mehr Begeisterung für den MINT-Bereich entfachen kann und wie man im Schulunterricht dazu beitragen kann.
Der Fachkräftemangel ist in nahezu allen Branchen sichtbar - mit welchen Auswirkungen rechnen Sie in den kommenden Jahren?
Zunächst einmal rechne ich damit, dass der Stellenwert dieses Themas weiter steigen wird. Es reicht dabei schon, es mathematisch zu betrachten. Dann sehen wir, wie viele junge Menschen uns insgesamt auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und wie viele Menschen aus der Erwerbstätigkeit aussteigen werden – das kommt mathematisch nicht hin. Das führt immer mehr zu einem Dilemma, dass Unternehmen und Branchen auch untereinander immer stärker um Personal ringen werden.
Könnte das dazu führen, dass uns für anstehende Aufgaben, beispielsweise die Energiewende, nicht genügend Expertinnen und Experten zur Verfügung stehen, um sie erfolgreich umzusetzen?
Darauf gibt es nicht nur eine Antwort - wir werden immer wieder an sehr vielen verschiedenen Fäden ziehen und sehr genau beobachten müssen, wer wofür benötigt wird. Dazu wird gehören, in diesen Bereichen intensiv um Mitarbeitende zu werben. Und es wird auch wichtig sein, junge Menschen im Laufe ihrer schulischen Karriere klar zu informieren und aufzeigen, welche Perspektiven es gibt und wo es sichere und gut bezahlte Jobs geben wird. Die Berufsorientierung hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert. Wenn ich vergleiche, was damals in meiner Generation an Berufsorientierung stattgefunden hat und was heute stattfindet, dann ist das ein Quantensprung.
Ein weiterer Baustein wird das Thema Zuwanderung sein. Dafür braucht es auf Bundesebene endlich einen klaren gesetzgeberischen Rahmen, um genau die Fachkräfte zu bekommen, die wir benötigen. Beim Thema Zuwanderung drängt jetzt wirklich die Zeit.
Bei der IdeenExpo schauen wir stark auf den MINT-Bereich, in dem die Fachkräftelage weiterhin sehr schwierig bleibt. Sehen Sie hier Möglichkeiten einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt?
Man sollte zunächst einmal damit aufhören, typische Zuschreibungen immer zu wiederholen, die eigentlich großer Unfug sind. Mich ärgert, wenn immer wieder gesagt wird, dass Mathematik eigentlich doof ist. Solche Vorurteile halten junge Menschen davon ab, sich für bestimmt Fächer zu interessieren. Allein deshalb ist die IdeenExpo so genial, weil man hier so schön sehen kann, mit welcher Begeisterung man im MINT-Bereich tätig sein kann. Mir haben dort Schülerinnen und Schüler den Satz des Pythagoras erklärt – und zwar so klar und gut, dass sie sich das glatt patentieren lassen müssten.
Uns muss im MINT-Bereich immer wieder gelingen, die Brücke zu schlagen und zu zeigen, dass wir nicht über irgendetwas Abstraktes sprechen, sondern klar die Zusammenhänge deutlichen machen. Dann wird sichtbar, dass die Zahl der spannenden Tätigkeiten im MINT-Bereich nahezu unbegrenzt ist. Diesen gedanklichen Bezug zur Praxis brauchen wir auch in der Schule.
Ist der Bezug zur Praxis in den Schulen der Schlüssel zu mehr MINT-Begeisterung?
Genau, das ist eine der wichtigsten Grundlagen. Eine weitere ist das kompetenzorientierte Lernen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor einer Generation hat man in Mathematik drei binomische Formeln gelernt. Die wurden auswendig gelernt, dann hat man sie gerechnet, und das war es dann auch. Die Frage des Warum hat keiner geklärt. Heute gibt es dazu Aufgaben, anhand derer man ableiten kann, dass man an dieser Stelle ohne binomische Formel nicht weiterkommt. Das Herstellen des Bezugs ist immens wichtig.
Darüber hinaus setzen wir stärker auf projektbezogenes Lernen, das ich gerade im MINT-Bereich für einen großen Vorteil halte. Oft gibt es eben Zusammenhänge zwischen Biologie, Physik, Technik, Informatik oder Mathematik. Wenn man das in Fächern nicht auseinanderreißt, sondern im Projekt lernt, kann das für Schülerinnen und Schüler sehr wertvoll sein. Dafür brauchen wir Freiräume an den Schulen.